Klick, Klick, Klick

Seine Finger flogen in Rekordgeschwindigkeit über die Tastatur. Den Raum erfüllte nur das laute Klicken der Tasten. Seine Augen waren fixiert auf das Blatt, welches nach und nach mit Runen bedruckt wurde. Er sah die kleinen Stempel auf das Pergament klatschen und einen Buchstaben in schwarzer Tinte hinterlassen. So inspiriert von der Idee, die ihm durch den Kopf geschossen war, als er mit einer Tasse Tee die Nachbarskinder beim Spielen im Regen beobachtet hatte. Ein elektrischer Impuls zuckte durch seinen Schädel, dass er die Tasse auf den Tisch knallte, wobei die Flüssigkeit herausspritzte und nun seit einigen Minuten mit einem leisen ,,Plop“ auf den Boden tropfte. Er war zur Schreibmaschine gerannt und schrieb seine brillante Idee aufs Papier.
Dann ließ er von der Tastatur ab; las sich stumm den eingetippten Text durch. Konzentriert; ruhig; nichts könnte ihn jetzt von seiner geliebten Schreibmaschine abbringen. Außer   –   die Tasten begannen sich zu bewegen, ohne dass er sie berührte. Er riss Mund und Augen auf. Sein Herz pochte brutal gegen seinen Brustkorb, dass er Angst hatte, es könnte ihm aus dem Brustkorb reißen. Dann sah er sich um. Hatte das noch jemand gesehen?
Doch niemand sonst war im Raum. Niemand. Nur er und seine Schreibmaschine, die soeben von ganz allein anfing zu schreiben. Langsam ergaben die aneinandergereihten Buchstaben einen Sinn. Es hatten sich Wörter gebildet.
Theobald Tiger?
Er zuckte zusammen. Das war nicht möglich!
Das – das war sein Name! Er hieß Theobald! Als würde seine Schreibmaschine, die er über alles liebte, unter Strom stehen, traute er sich nicht, die Tasten zu berühren. Er würde einen Stromschlag bekommen! Er würde sterben, da war er sich ganz sicher! Zumindest fühlte es sich so an, denn sein Herz tat mehr weh als sein Kopf und dieser schien ihm jeden Moment vom Hals zu reißen. Trotzdem siegte seine Neugier,
dass er mit dem Zeigefinger auf die Tasten tippte. Klick, Klick, Klick.
 Wer bist du?
Ich bin Ludwig.
Diese Schreibmaschine war verhext! Niemals! Nein! Das konnte nicht sein! Ludwig hieß der Protagonist seines Buches!
Ludwig Enduart?
Ja genau!
Wie ist das möglich?
Ich habe keine Erklärung…
Das hatte Theobald auch nicht. Entsetzt lachte er auf. Er, der Autor seines Buches, schrieb, mit der Hauptfigur aus seinem Buch – über seine Schreibmaschine. Wieder klickte die Tastatur. Theobalds Blick, der auf dem Fenster ruhte, hinter dem eine große Eiche in den Himmel ragte, zuckte zurück auf das Blatt Papier. Ludwig schrieb wieder. Um Gottes willen, so etwas Absurdes, würde ihm doch niemand glauben! Er schrieb mit dem Protagonisten aus seinem Buch!?
Ich habe zuvor ein Buch auf dem Jahrmarkt gekauft und habe mich beinahe bis zum Schluss durchgelesen. Kommt dir das Buch ,,Eine Treppe in die Unendlichkeit“ bekannt vor?
Der Autor zog scharf die Luft ein. Er wollte heulen, brüllen, sich wie ein Kind auf dem Boden winden und vergessen, was in den letzten Minuten passiert war. Natürlich kam es ihm bekannt vor!? Das war das Buch, welches er geschrieben hatte!
Das Buch, in dem Ludwig sein Traumleben führte. Ein Leben, was er nie gehabt hatte. Eines im adeligen Haushalt. Mit Dienern und Fürsten; Gartenarbeitern und Köchen. Ein Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet; brannte wie Feuer.
Darf ich dir eine Frage stellen?
Theobald las die Worte und schluckte stark. Er war sich nicht sicher, ob er sie wirklich beantworten wollte – konnte. Ja. Theobald vergrub das Gesicht in seinen Händen.
Was würde Ludwig ihn fragen wollen? Der Autor kannte seinen Buchcharakter gut. Immerhin hatte er ihm kreiert. Er hatte ihn erschaffen.
Mit seinem Leib und seiner Seele und fast sechs Jahre seines Lebens. Er kannte Ludwig gut. Besser, als jeder in seinem Umfeld. Besser als Elisabeth, seine Gattin. Als Konrad und Friedrich; seine Söhne und Maria, seine Tochter. Besser als alle Fürsten, mit denen er am Abend etwas gegessen hatte. Verdammt, Theobald kannte sein gesamtes Leben – da er es geschrieben hatte. Die Tasten klickten erneut. Er sah auf. Versuchte bereits nach ein paar Buchstaben zu entziffern, was er fragen wollte. Doch ein paar mal tief durchatmen reichte, bis eine vollständig formulierte Frage auf dem Blatt stand.
Theobald lief es kalt den Rücken herunter. Wie ein Eiswürfel, welches sein Rückrad herab streifte. Er biss die Lippen aufeinander.
Eine grauenhafte Frage. Eine unverschämte Frage! Eine Frage, dass sich Theobald am liebsten den Kopf mit voller Wucht auf den Tisch geschlagen hätte.
Warum hast du mich getötet? Warum heute?
Theobald trieb es die Tränen in die Augen. Ein Kloß brannte wie Feuer in seinem Hals. Die Luft schien ihm aus der Lunge gepresst. Er spürte Ludwig weinen; heulen; vor Todesangst die Luft aus den Lungen kreischen.
Dieser wusste, dass es sein letzter Tag war. Am liebsten hätte Theobald sich das Buch heraus gekramt und den Schluss verändert.
Doch die Auflagen in aller Welt würde er bis heute nicht mehr verändern können. Er hatte seinen jahrelangen Freund, Ludwig getötet.
Einen der einzigen Freunde, die ihn so verstanden wie er war. Der sich nie darüber aufgeregt hat, wie viel er redete, sondern nur zuhörte.
Der ihm half, über die Tode in Theobalds Familie hinwegzukommen. Über den Tod seiner Eltern, Geschwister, seiner Frau und – seinen beiden Töchtern. Er hatte Ludwig doch nur getötet, um die Tode in seinem Umfeld verarbeiten zu können. Doch dafür verlor er nun eine weitere unersetzliche Person in seinem elendigen Leben. Theobald setzte die Finger an die Tastatur.
Nicht jede Geschichte hat ein gutes Ende…

,,Es ist gefährlich, Namen zu erfinden – ein Name lebt“, Theobald Tiger.

– Tiara Vollmer

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